Zur neusten Kritik an der Versöhnungsforschung an der Universität Jena

Antwort auf den Kommentar von Herrn Tobias Kühn

Published:

Sehr geehrter Herr Kühn,

meine Habilitationsschrift habe ich über Martin Buber geschrieben. Als dialogischer Mensch antworte ich auf Ihre Kritik, die Sie in der Jüdischen Allgemeine Nr.46/25 vom 13. November auf S. 2 als Meinung veröffentlicht haben, um ein Gespräch mit Ihnen anzubieten. Dieses Gespräch habe ich bereits in einer Mail am Dienstag, den 18.11., gesucht und Ihnen eine ganze Fülle von Materialien geschickt, die entgegen Ihrer Aussage, ich hätte eigentlich ein Interesse an einem Boykott israelischer Universitäten, belegen, dass ich intensiv mit Kolleginnen und Kollegen in Israel zusammenarbeite, und zwar in Vergangenheit (seit 2013 in eine großen DFG Projekt mit den Universität Tel Aviv und Ben Gurion), Gegenwart und in Zukunft. Unter anderem hatte ich Ihnen das Programm der am 24.11.2025 beginnenden Reconciliation Week geschickt, bei der nicht weniger als sieben Referenten aus Israel Vorträge halten (siehe: 1st Reconciliation Weekpdf, 2 mb · de). Auch Aktivitäten der Jenaer Versöhnungsforschung gegen Antisemitismus habe ich Ihnen vorgelegt. Es hat mich gewundert, dass der Beitrag von Ihnen trotz dieser Informationen unverändert in der Onlineausgabe noch einmal und nun vor großem Publikum publiziert worden ist.

In Ihrem Beitrag geben Sie die Forderung wieder, die Kooperationen der Universität Jena mit israelischen Hochschulen zu überprüfen und stellen dann in einem logischen Sprung die Frage: „Was ist Versöhnung wert, wenn sie Juden ausschließt?“ Warum ist dies logisch unhaltbar? Weil in den Prämissen von etwas ganz anderem die Rede ist als in der Schlussfolgerung. In den Prämissen geht es um deutsche und israelische Hochschulen, also um Institutionen, in der Schlussfolgerung geht es um Menschen, nämlich um Juden. Wir unterscheiden in unseren Forschungen immer klar: Versöhnung zwischen Menschen ist ein ganz anderer Prozess als Versöhnung zwischen Institutionen. Wichtiger noch ist: wir haben immer betont, dass Versöhnung, wenn sie erfolgreich sein will, allparteilich ist, das heißt, wir empfehlen, mit jedem zu sprechen, wenn es um Versöhnung geht, das gilt auch für Vertreter von Institutionen, und würde auch für Vertreter von Universitäten gleich welcher Nation gelten, falls sich herausstellen sollte, dass sie in Kriegsverbrechen verwickelt sind. Niemand wird ausgeschlossen aus Bemühungen um Versöhnung! Auch Sie nicht, Herr Kühn. Wohl aber verlangt eine Ethik der Versöhnung, dass man bei mutmaßlichen Kriegsverbrechen, die für diese Verbrechen relevante Kooperation in fairer Einzelfallprüfung überprüft. Dazu ist eine deutsche Universität auch rechtlich verpflichtet und zwar nicht nur bei Israel, sondern auch in jedem Fall. Alles andere wäre double standard.

Unlogisch erscheint mir auch, dass Sie davon auszugehen scheinen, dass die von uns geforderte Überprüfung der Kooperationen negativ ausgehen wird. Eine Überprüfung muss immer ergebnisoffen geführt werden. Stellen Sie sich vor, dass die Überprüfung positiv ausgeht. Wäre das nicht eine gute Nachricht, die Sie auch in der Jüdischen Allgemeinen veröffentlichen könnten?

Es folgt ein Satz, der behauptet, ich würde zwischen „richtigen“ und „falschen“ Opfern, zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Partnern unterscheiden. Wahr ist, dass ich immer genau das Gegenteil vertreten habe: Jedes Opfer verdient es, gleichermaßen betrauert und unterstützt zu werden. Mich freut aber, dass Sie dasselbe zu denken scheinen und würde gerne mit Ihnen darüber reden, was aus dieser Gemeinsamkeit konkret folgen könnte.

Als nächstes beziehe ich mich auf Ihren Satz, „die Sprache der Distanzierung kann nicht verdecken, dass hier das Vokabular der Dämonisierung Israels in die Mitte der Universität getragen wird“. Hier möchte ich nachfragen: wo finden Sie bitteschön das Vokabular der Dämonisierung Israels? Ich bin ein Anhänger liberaler Demokratie und als solcher glaube ich, dass eine Tatsachenorientierte nüchterne Debatte keine Dämonisierung ist.

Dann kommt wieder ein seltsamer, gegen mich ad personam gerichtete Satz: „Wer Solidarität mit Palästinensern nur durch Distanz zu Juden ausdrücken kann, verrät den Geist der Versöhnung, den er zu verkörpern vorgibt“. Dazu möchte ich antworten: zunächst bin ich ein Wissenschaftler, der Versöhnungsprozesse erforscht. Ich habe in meiner Funktion als Hochschullehrer nie vorgegeben, den Geist der Versöhnung zu verkörpern. Die Verkörperung von Geistern gehört nicht zu unserem Dienstauftrag. Dass ich als Christ tatsächlich das eine oder andere vom Heiligen Geist und von Versöhnung mitbekommen habe, steht auf einem anderen Blatt; führt bei mir aber nicht dazu, dass ich je behauptet hätte, einfachhin den Geist der Versöhnung zu verkörpern. Ich sehe stattdessen Versöhnung als etwas, was Christen und Juden verbindet, haben doch neben vielen andern auch Max Horkheimer und Theodor Adorno in „Elemente des Antisemitismus“ geschrieben: „Versöhnung ist der höchste Begriff des Judentums“.

Doch zurück zur Versöhnungsforschung. Nach meinen Studien ist, wie gesagt, Allparteilichkeit und damit Solidarität mit allen Konfliktpartnern als Menschen wichtig, ohne damit alle Auffassungen und Taten zu rechtfertigen. In einer Pressemeldung, die auf der Homepage des Zentrums für Versöhnungsforschung steht, habe ich den Angriff der Hamas vom 7.Oktober 2023 verurteilt. Zwischen Nähe und Distanz gibt es in den Versöhnungsprozessen immer einen Fluss, der mal mehr in die eine oder in die andere Richtung führt. Distanz ist dabei nicht negativ, gerade sie kann den Blick hilfreich für den Fortgang des Versöhnungsprozesses weiten.

Dies kann erläutert werden an Ihrer Schlussbemerkung: „Ein Schreiben, in dem Leiner … auffordert, seine Partner in Gaza daraufhin zu prüfen, ob sie Kontakte zur Hamas unterhalten, lag bis Redaktionsschluss nicht vor.“ Meine Antwort: Man kann die Hamas nicht mit der israelischen Armee vergleichen. Deshalb war von Anfang an die Situation eine andere. Da unsere Kooperation im Rahmen eines EU-Projekts stattfand und die EU die Hamas als Terrororganisation von jeder Kooperation ausschließt, war von Anfang an klar, dass die EU diese Prüfung durchgeführt hat. In der Tat wurden die Gelder für die Kooperation nach dem 7.Oktober 2023 auf Eis gelegt, dann aber in unserem Fall nach positiver Überprüfung wieder freigegeben.

Zu guter Letzt.

Ihren Sätzen „Versöhnung beginnt nicht mit Misstrauen gegenüber Israel. Sie beginnt mit der Anerkennung, dass dieses Land kein Feind, sondern ein Partner ist“ stimme ich zu. Ihre Sätze sind sogar verallgemeinerbar. Wie schön wäre es, wenn in der israelischen Regierung und den Israelis Palästinensern gegenüber und von Palästinensern den Israelis gegenüber Vertrauen und Freundschaft entgegengebracht würde! Von beidem sind wir weit entfernt. Daran könnten wir gemeinsam arbeiten. Dann könnte nach diesem schrecklichen Krieg vielleicht wirklich Versöhnung entstehen.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Martin Leiner